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wir sind da!

15/10/2020 - 05/12/2020

wir sind da!

Gemeinsam mit dem Britischen Ausnahmekünstler Ian Davenport (*1966, Sidcup, GB) hat sich das Team der Galerie HAAS & GSCHWANDTNER dazu entschieden, die Regelungen für das Ausstellungswesen als Chance für eine Präsentation von Arbeiten junger und aufstrebender Künstler_innen zu nutzen. Aktuell ist es dem international bekannten Künstler nicht möglich, nach Salzburg zu reisen und so lud er drei  ambitionierte Künstler_innen aus dem Umfeld der Galerie ein, um auf ausgewählte Arbeiten von Davenport zu reagieren. Tina Graf (*1997, Taitung, TW), Inga Hehn (*1984, Linz, AT) und Julian Khol (*1979, Wien, AT) produzierten bzw. selektierten Werke, die sich mit Themen von künstlerischen Techniken, ästhetischen Prinzipien, aber auch jenen des Alltags auseinandersetzen.

wir sind da! lautet der Titel der Gruppenausstellung, die 15 Druckgrafiken, fünf Malereien auf Papier (darunter zwei Unikate aus dem Archiv Davenports) und zwei Skulpturen zeigt. Die Ausstellung unterteilt sich in drei Themenbereiche: Technik und Experiment, Farbe und Gefühl sowie Geometrie und Linie. Davenport hat sich mit allen drei Gebieten intensiv auseinandergesetzt. Tina Graf, Inga Hehn und Julian Khol liefern jeweils künstlerische Beiträge hierzu.

Ian Davenport nahm schon im Jahr seines Studienabschlusses, 1988, am renommierten Goldsmiths College in London, an der retrospektiv vielbeachteten Ausstellung Freeze teil. Die vom internationalen Kunststar Damien Hirst kuratierte Schau ging in die Kunstgeschichte ein: Die Young British Artists wurden zum ersten Mal präsentiert. Danach ging es mit Davenports Karriere steil bergauf. 1991 wurde er für den renommierten Turner-Prize nominiert, 2003 fertigte er ein dreizehn Meter hohes „Puddle-Painting“ für die Days like These-Ausstellung in der Tate Britain.

Auf seine künstlerische Laufbahn zurückblickend, sieht Davenport die derzeitige Situation in Galerien als große Möglichkeit gerade der jüngeren Generation Präsentationsraum zu bieten. Zu Ikonen sind Davenports sogenannte „Puddle-Paintings“ (dt. „Pfützen-Bilder“) geworden, deren Farben im unteren Bildrand zu Pfützen zusammenfließen, und das nicht erst nach der Bespielung des Swatch-Pavillons 2017 auf der 57. Biennale di Venezia. Die Technik der „Pfützen-Bilder“ ermöglicht dem Briten eine präzise Kontrolle der Flüssigkeit. Dieses Moment spielt eine große Rolle in seinen Werken. Spricht der international anerkannte Künstler heute selbst über diese, so geht es ihm vor allem um die technischen Herausforderungen, hat er sich in den letzten Jahren doch auch auf die Techniken der Radierung und des Siebdruckes konzentriert.

Technik und Experiment

Eine Expertin für die Technik der Druckgrafik, ist die in Linz lebende Künstlerin Inga Hehn. Ihre Beiträge zur Ausstellung sind kraftvoll. Ihre Lithografien und sogenannten Marmorierungen schaffen poetische Momente auf Papier. Genauso wie Davenport bedient sich auch Hehn speziellen grafischen Techniken, lässt aber auch dem Zufall, dem Experiment, wortwörtlich freien Lauf und schafft somit ihre eigene ‚weiche Geometrie‘. Das Moment des Zufalls ist auch Davenport wichtig. Das Experimentieren mit den Farben, dem zufälligen Verlauf dieser zeigt Davenports Malerei Black Lines on white paper aus dem Jahr 1996. Das Unikat stammt aus dem persönlichen Archiv des Künstlers. Davenport kontrolliert das Material und die Farbe, die er mit Hilfe von Spritzen auf den oberen Rand des Blattes aufträgt und die Farbe vertikal hinunterfließen lässt. Durch die Kenntnisse über das Material, schafft er sich eine enorme Freiheit in seinem experimentellen Arbeitsprozess.

Neben Davenports Unikat hängt die Arbeit ohne Titel  (2018) von Inga Hehn, eine Marmorierung auf Büttenpapier. Hehn, die an der Kunstuniversität in Linz lehrt, beschäftigt sich technisch mit der jahrhundertealten Handwerkskunst des Papier-Marmorierens. Erste Erwähnungen der Marmorier-Kunst stammen ursprünglich aus dem 10. Jahrhundert aus China. Marmorierungen wurden später exklusiv für das Japanische Kaiserhaus hergestellt. In Europa dienten die von Hand gefärbten Papiere ab dem 17. Jahrhundert als Einband für Bücher. Hehn nutzt die Technik, um sie in ihr zeitgenössisches künstlerisches Arbeiten zu übersetzen. Ihre marmorierten Werke sind aufwändig, so kocht sie für die teilweise groß dimensionierten Arbeiten auf Büttenpapier an die 20 Liter gallertartige Masse aus Algen. Hochkonzentriert beschäftigt sie sich danach mit der Technik der Tuschezeichnung auf der flüssigen Fläche. Das Zusammenspiel des Zeitfaktors, der Temperatur und des Zeichnens sind deutlich spür- und nachvollziehbar auf den einnehmenden Druckgrafiken aus der Serie Drift.

Geometrie und Linie

Ab Mitte der 1990er Jahre beschäftigt sich Davenport intensiv mit geometrischen Formen. Inspiriert durch seine Fahrten in sein Studio nach East London, auf denen er den Rotherhithe Tunnel durchqueren musste, entstanden seine sogenannten „Arch Paintings“.(1) Diese sind angelehnt an die Form der Bögen des Tunnels (konstruiert 1904–08). Davenports sechsteilige Siebdruckserie Ovals (2002) zeigt die geometrische Form des Kreises in sechs verschiedenen Farbvarianten. Die Serie fällt in die Zeit seiner „Circle Paintings“ (2001–06). Die Farben der einzelnen Kreise weichen teilweise minimal ab oder bilden im Gegenzug starke Kontraste, wie jener des schwarzen Kreises auf dem weißen, quadratischen Papier. Die Farbe des Bildträgers ist matt, die Kreise sind hingegen in Hochglanz gedruckt. Davenports Arch- und Oval-Serien sind angelehnt an die frühe Arbeit von Ellsworth Kelly (*1923, New York, USA – 2015, ebenda) White Plaque: Bridge Arch and Reflection (1952–55) aus der Sammlung des MoMa in New York. Der US-amerikanische Maler und Bildhauer spiegelt in dieser Collage auf weißem Papier zwei matt-schwarze Halbkreise, zusammengeklebt durch einen schmalen, schwarzen, hochglänzenden Streifen.

Die Form des Kreises, mit ihrer kontinuierlichen, ästhetischen Proportion bot dem Künstler viel Raum für Experimente. Davenport sagt über sich selbst: „I have never really thought of myself as a painter, more as a sculptor who makes paintings“.(2) Ähnliche Ansätze hat auch der österreichische Maler Julian Khol. Die Linie als Ausgangspunkt und die Spirale als Endprodukt, also fortlaufende Form von Kreisen (Gedankenspiralen) sind auch Gegenstand seiner Skulpturen set time und HMU (beide 2020). Der Blick der Bertrachter_innen folgt in beiden Werkkomplexen dem konsequenten Verlauf der Linien. Die Tiefe der Drucke von Davenport liegt in der Oberfläche. Die Tiefe der hellblau gefärbten Skulptur set time von Khol wird durch die künstlerische Idee gespeist. Seine aus Kupferrohr geschmiedeten Skulpturen, teilweise mit 23-karätigem Blattgold überzogen – wie HMU, sind Erinnerungen, sogenannte Memos, Vorstellungen, Fantasien, sie stehen für die Zukunft. Durch ihren Schattenwurf sind die Skulpturen der Gegenwart immer eine Millisekunde voraus, werfen den Schatten in die Zukunft und sind Mittler zwischen vergangener und künftiger Zeit, stehen quasi für Zeitintervalle.

Farbe und Gefühl

Die Darstellung wiederholter geometrischer Formen bringt den Verzicht mit sich, über ausgefeilte Motive nachzudenken und führte Davenport zu seinem Interesse an Farbskalen und deren genaue und komplexe Studien.  Untersuchungen von Gemälden und deren Farbaufbau Alter Meister folgten ab 2010. Die Farbpaletten von Klassikern von Hans Holbein d. J. (*1497, Augsburg, DE – 1543, London, GB) und anderen, setzte Davenport in seiner bekannten Manier der Streifenbilder um. Die Appropriation, also die Aneignung von Motiven in der Kunstgeschichte war hierfür inspirierend. In den Jahren 2019 und 2020 beschäftigt sich Davenport mit Farb- und Lichtstudien zu Tages- und Jahreszeiten (Winter, aus der Serie The Four Seasons, und die Unikate 6 am Ghost und 7 am Ghost).

Die aufstrebende Salzburger Künstlerin Tina Graf schloss das Studium der Bildenden Künste und Gestaltung an der Universität Mozarteum, Salzburg 2019 ab. Seit Herbst 2019 studiert sie Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Jan Svenungsson. Der Mensch steht in ihren Druckgrafiken, aber auch großformatigen Gemälden im Zentrum, genauso wie gesellschaftliche Reibungspunkte und Frauenrollen im Alltag. In den Anfangsmonaten der Covid-19-Pandemie hat sich die Künstlerin, auch autobiografisch, mit dem Problem der Mental Illness in Zeiten von Lockdown und Selbstisolation auseinandergesetzt. Ihre jüngsten Malereien aus der Serie NO ONE TOLD ME (2020) zeigen Körperstudien in einem undefinierten Raum. Die Künstlerin hat sich hier auch der Form der Appropriation angenähert und bedient sich wiederum der Farbpalette von Davenports Drucken 6 am Ghost und 7 am Ghost (2020). Die in den Davenport’schen Farben gemalten Körper lösen sich auf, nur Fragmente von Armen, Beinen, Köpfen sind zu erkennen. Tina Graf sagt selbst über ihre aktuellen Malereien: „Leere, Orientierungslosigkeit, Diffusität, Angst, Zerrüttung, Irritation und Einsamkeit stehen im Fokus. So taucht eine Figur mehrmals auf. Zeitgleich an verschiedenen Orten. Nicht wissend, wo sie ist, wo sie hingehört. Sie ist sich dessen bewusst, verloren zu sein. Sowohl körperlich, als auch psychisch. Nackt dem Betrachtenden ausgesetzt.“

 

(1) Vgl. im Folgenden Filler, Martin, Ian Davenport, London, 2014, S. 105 – 109.

(2) Zitat aus dem Interview von Batchelor, David, Homage to Homer: Ian Davenport in conversation with David Batchelor, in: Ian Davenport: New Paintings