Ausstellungen

Kathrin Isabell Rhomberg – INFINITE HORIZON

Infinite Horizon: Eine facettenreiche Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Ein Text von Alexandra Steinacker

Künstliche Realitäten, abstrahierte Natur, analoge Technologie. Widersprüchliche Themen sind in Gemälden präsent und schaffen facettenreiche Werke, die sich über Zeit und Raum zu erstrecken scheinen. Kathrin Isabell Rhomberg erkundet diese in ihren großformatigen Ölgemälden, wobei sie sich in Komposition sowie mittels der Motivik auf die Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts bezieht. Hier beruft sie sich insbesondere auf die Theorien über Faltenwurf und Bildausschnitt, die der Kunsthistoriker Victor I. Stoichita in seinem Buch Das selbstbewusste Bild: Vom Ursprung der Malerei thematisiert.

Aspekte der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts werden ebenso aufgegriffen, wie persönliche Eindrücke der Künstlerin auf Erkundungstouren durch alpine Regionen Europas. Eine weitere Facette ihres Arbeitens ist der Bezug zur Technologie, wobei sie mit der Ästhetik der Glitch-Art (Bilder, die durch digitale Fehlfunktionen auf Bildschirmen entstehen und die Komposition so unterbrechen) und den visuellen Qualitäten des Digitalen spielt. Darüber hinaus erforscht sie die menschliche Interaktion mit der Technologie und deren gegenwärtige Integration in unser Leben und Denken. Diese ineinander verschwindenden Grenzen erforscht Donna Haraway (emeritierte Professorin für Feminist Studies an der University of California, Santa Cruz, USA), ihren Publikationen A Cyborg Manifesto und Staying with the Trouble. Die Untersuchung und visuelle Manifestation dieser Theorien sind in den Gemälden der jungen Künstlerin vorherrschend und ziehen sich durch ihre Werke von ihrer Zeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien bis zu den aktuellsten Arbeiten.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es zu einer so genannten „Krise der Bilder“, in der viele Strukturen innerhalb des künstlerischen Diskurses destabilisiert wurden, wie z. B. das Mäzenatentum und das Aufkommen neuer Formen der Malerei in den Bereichen Stillleben, Genre und Landschaft.(I) Die soziopolitischen, wirtschaftlichen und religiösen Umstände führten zu Veränderungen in der Ikonografie und dem eigentlichen Zweck der Malerei, und als Folge dieser Wandlungen kam es zu einer „religiösen Zersplitterung und einem bildlichen Bruch“.(II) Victor I. Stoichita argumentierte, dass in der italienischen und flämischen Malerei jener Zeit ein fragmentiertes Blickfeld vorherrschte, das einen Dialog zwischen widersprüchlichen Kräften wie religiösen Erzählungen und weltlichen Objekten oder dem Heiligen und dem Profanen beinhaltete.(III) So zerlegt Rhomberg durch ihre abstrakte Bildsprache auch die Sicht der Betrachter_innen und fordert den leeren Raum der Leinwand durch die Farbe heraus. Materialität wird in einer intensiven Konzentration auf das Sujet des Faltenwurfs betrachtet. Haptik und Oberflächenwirkung changieren zwischen der Schwere eines Satinvorhangs oder der Leichtigkeit einer Rettungsdecke und werfen die Frage auf, was der Vorhang oder die Decke verbergen oder auch verhüllen könnten. Durch die abstrahierte Bildsprache und die Makroperspektive entzieht sich die Falte in Rhombergs Werken jedoch jeder figurativen Definition und behält so ihre reine, in Farbe ausgeführte Materialität bei.

Rhombergs künstlerische Praxis geht aber weit über diese Verweise hinaus. Jede Falte birgt das unendliche Potenzial einer Reise, die sich in jede Richtung entwickeln kann, eine Erkundung mit endlosen Möglichkeiten und unendlichen Horizonten. Ihre Werke enthalten eine Ambivalenz dessen, was die Zukunft bringt, die sich ebenfalls einer Definition entzieht und grenzenlos bleibt, indem sie die Möglichkeit verschiedener Lebenswege in Betracht zieht, nicht unähnlich den weiten Landschaften des bekanntesten deutschen Künstlers der Romantik Caspar David Friedrich. Sein Gemälde Wanderer über dem Nebelmeer (1818), auf dem ein Mann in einem Mantel in Kontrapost auf einer Felsklippe steht und den Blick von den Betrachter_innen weg in ein weites, offenes Nebelmeer und Berggipfeln richtet, ist hier beispielgebend. Rhombergs Gemälde bewegen sich in Richtung Abstraktion, entziehen sich aber nicht immer der Gegenständlichkeit, da die Verbindung zu den Silhouetten von Berggipfeln, Eisschollen, grünen Hügeln oder dem blauen Himmel sowie natürlichen Elementen wie Laub oder Blättern immer wieder auftauchen. So zum Beispiel in ihren Werken Veil (2020) oder World away (2021). Wo ihre Gemälde Gegensätzlichkeiten zwischen Abstraktem und Figurativem enthalten oder auf kunsthistorische Widersprüche zwischen Sakralem und Profanem verweisen, enthalten sie auch das Spannungsfeld zwischen dem Künstlichen und dem Natürlichen. Die abstrahierte Materialität ihrer Werke widerspricht teils den Formen und Farben, die in der Natur zu finden sind, und so definiert Rhomberg sie neu und zieht sie in ihren Grenzraum der unendlichen Möglichkeiten, der grenzenlosen Faltung.

Die Verbindung zwischen dem Menschen, der Natur und der Technik wird instabil, unser Planet, die einst stabile Basis für die Menschheit findet sich in einer ständigen Schieflage wieder. (IV) Nach den Theorien von Anselm Franke und Diedrich Diederichsen vollzog sich durch den humanitären und technologischen Fortschritt ein konzeptioneller und verhaltensbezogener Wandel – ein Beispiel dafür ist eines der ersten Satellitenbilder der Erde, das zu einer visuellen Darstellung des allgemeinen Anspruchs wurde und als konzeptioneller Rahmen für die „Familie des Menschen“, der Menschheit, dient.(V) Die Art und Weise, in der der Mensch mit den anderen Komponenten dieses Kippbildes interagiert, wird zum Katalysator für die Entstehung neuer Beziehungen, einer sich ständig verändernden Symbiose zwischen Mensch und Natur oder Mensch und Technologie. In Anlehnung an Donna Haraways Theorien in A Cyborg Manifesto ist die Unterscheidung – oder besser gesagt die fehlende Unterscheidung – zwischen Organismus und Maschine, und damit auch die Unterscheidung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen, durch den jüngsten technologischen Fortschritt unklar geworden.(VI) Rhomberg verweist auf diese Auflösung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine und folglich auch auf die Auflösung zwischen Natur und Maschine. Ihr kreativer Prozess umfasst mehrere Phasen, in denen sie von analoger Fotografie zu digitaler Bildbearbeitung, von dem Ablichten der Natur zur künstlichen Bearbeitung des Abbildes, wechselt und sie ineinander übergehen lässt. Schlussendlich übersetzt sie dieses wieder in den analogen Prozess des Malens, mit dem Pinsel auf der Leinwand. Übersetzt durch eine visuelle Sprache, die nicht nur physische Stofffalten, sondern auch Glitch-Art und das Digitale aufgreift, bringt Rhomberg die Fragen der Symbiose oder Sympoiesis ein, die von Haraway als der Moment definiert wurde, in dem sich organisches Material anpasst und gegenseitig durchdringt, sich zu Clustern zusammenfügt, denen wir Namen geben, wie Zelle, Organismus oder ökologische Assemblage.(VII) Als Quasi-Sympoiesis von Mensch, Natur und Maschine beeinflusst jede Komponente die andere, und die Malerin erforscht diese Verbindungen, während sie sie durch die Körperlichkeit ihres Herstellungsprozesses wieder ins Analoge zurückführt.

Die Künstlerin bearbeitet Widersprüchlichkeiten und Verbindungen, unter Bezugnahme auf Theorien, die vom kunsthistorischen Diskurs des 16. Jahrhunderts bis hin zu gegenwärtigen Auswirkungen auf sozio-ökologische Umstände durch die jüngeren technologischen Entwicklungen reichen. Zum Beispiel das bereits erwähnte Aufkommen von Satellitenbildern, die zu einer Verschiebung des konzeptionellen Rahmens der Menschheit beitragen. Kathrin Isabell Rhombergs Motivik bezieht sich auf Draperien und Falten in der Malerei der frühen Moderne, erforscht jedoch die Materialität durch einen ‚künstlichen Blick‘ aus abstrahierten Perspektiven und eine digital beeinflusste Bildsprache. Die Künstlerin thematisiert auch den Aspekt des Naturbildes, wobei sie sowohl die Kunstgeschichte als auch ihre heutige physische Umgebung mit einbezieht. Ihre intensive Abstraktion der natürlichen Elemente schafft zeitgenössische Perspektiven. Die Symbiose zwischen Mensch, Natur und Maschine und ihre sich entwickelnden Beziehungen zueinander führen zu einem komplexen visuellen Ausdruck, der mit den Grenzen des Analogen und Digitalen spielt. Künstliche Realitäten, abstrahierte Natur, analoge Technologie – all diese Dichotomien sind in ihren facettenreichen Arbeiten enthalten, die sich mit gesellschaftlichen und anthropologischen Themen auseinandersetzen und gleichsam mühelos Raum und Zeit überbrücken.

 

Alexandra Steinacker, London, Oktober 2021

 

 

(I) San Juan, Rose Marie, Framing the Early Modern Field of Vision, in: Oxford Art Journal, Vol. 21, No. 2, Oxford University Press (2000), S. 173.
(II) Siehe ebenda, S. 173.
(III) Siehe ebenda, S. 173.
(IV) Franke, Anselm, The Whole Earth, California and the disappearance of the outside, Berlin: Steinberg Press, 2013, Englische Ausgabe, [keine Seitenanzahl]
(V) Teixeira Pinto, Ana, The Whole Earth: In Conversation with Diedrich Diederichsen and Anselm Franke, in: E-Flux Journal, Issue #45, https://www.e-flux.com/journal/45/60114/the-whole-earth-in-conversation-with-diedrich-diederichsen-and-anselm-franke/, Mai 2013.
(VI) Haraway, Donna J., A Cyborg Manifesto: Science, Technology and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century, in: Bell, David (Hg.), Kennedy, Barbara M. (Hg.), The Cybercultures Reader, London: Routledge, 2000, S. 293.
(VII) Proctor, Devin, Buchrezension: Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene By Donna J. Haraway, in: Anthropological Quarterly 90 (3), Jänner 2017, S. 879.