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Römer + Römer

House of Enlightenment

25/07/2019 - 05/10/2019

House of Enlightenment

Das in Berlin lebende Künstlerehepaar Torsten und Nina Römer, bekannt als Römer + Römer, lernten sich an der Kunstakademie in Düsseldorf kennen. Beide waren Meisterschüler des bekannten Malers, Grafikers und Bildhauers A. R. Penck (1939–2017) und setzen seit 1998 immer gemeinsam Kunstprojekte um. Mittlerweile sind Römer + Römer für ihre eigenständige und unverkennbare Position im Bereich der Malerei international bekannt. Die Entwicklung ihrer eigenen Formensprache ist zum Markenzeichen geworden. Ihr künstlerischer Ansatz vereint digitale Fotografie und Malerei. Als Grundlage für ihre Werke dienen ihnen ihre Fotografien, die auf Reisen zu verschiedenen Festivals entstehen. Diese werden am Computer in vielen Arbeitsschritten nachbearbeitet, Bildausschnitte werden analysiert. Ausgehend davon möchte das Paar den Visualisierungsschub des 21. Jahrhunderts, der multimediale Welt, von Fotografie über Video bis hin zum Internet, verdeutlichen.

Was zuallererst an den großformatigen Arbeiten des Künstlerpaares auffällt, ist die extreme Nähe zu den dargestellten Szenen. Links und rechts an der Leinwand wird mit identen Pinseln begonnen. In vielen übereinander gemalten Schichten entsteht jedes einzelne Bild. Dieses Verfahren nimmt etliche Stunden in Anspruch, in denen Römer + Römer hoch konzentriert und mit viel Akribie arbeiten. Zuerst werden großflächige Untermalungen aufgetragen. Zum Schluss malen beide immer detaillierter; Punkt um Punkt, Pixel um Pixel werden ergänzt. Betrachter_innen der großformatigen Tafelbilder erfahren durch die Bewegung, durch das Herantreten und sich entfernen vor den Arbeiten, ein Gefühl, das dem Zoomen mit freiem Auge gleichkommt und die Arbeitsweise nachvollziehbar und erfahrbar macht.

Seit 2008 untersucht das Künstlerpaar auf seinen Reisen gesellschaftliche und kulturelle Kontexte in Bezug auf die rasante globalisierte und digitalisierte Welt und den ambivalenten Wunsch der Gesellschaft, unkonventionelle Lebensweisen in temporären Parallelwelten zu erleben. Auch politische Zusammenkünfte, etwa Demonstrationen, waren Bildthemen.

Für die beiden gezeigten Serien der Ausstellung House of Enlightenment, mit einer Auswahl von 21 Gemälden, hat sich das Paar von zwei kulturellen Großereignissen inspirieren lassen: dem Fusion Festival und dem Burning Man Festival.

Das 1997 initiierte Fusion Festival, auch kyrillisch als ‚ФУЗИОН‘ geschrieben, zieht seit einigen Jahren knapp 70.000 Besucher_innen an. Die Devise des Festivals lautet „fünf Tage Ferienkommunismus“ auf einem stillgelegten sowjetischen Militärflugplatz in Mecklenburg-Vorpommern. Das Großereignis ist in erster Linie ein Musikfestival, das aber auch Raum für andere kulturelle Aspekte wie Performance, Tanz, Theater, Kino, Lesungen, Light Design oder politische Veranstaltungen bietet. Gesellschaftliche Grenzen, Vorgaben und Selbstbestimmungsvorstellungen werden ausgelotet. Ihre Recherchen führten Nina und Torsten Römer zuletzt im Juni 2019, zum sechsten Mal in Folge, auf das Festival. Entstanden sind Arbeiten, die das Milieu, die soziale Umgebung, den kollektiven Gedanken aber auch den herrschenden Ausnahmezustand der Veranstaltung festhalten. Immer nehmen die beiden ihre persönlichen Eindrücke auf und formen ein Abbild der Emotionen, die in der Öffentlichkeit entstehen. Die Bildthematiken geben die Atmosphäre der Parallelgesellschaft am fünftägigen Festival wieder. Zwei Bilder der Serie fangen all die unterschiedlichen genannten Aspekte ein: Luftschloss (2016) und Chill Out zur Geisterstunde (2015). Während im ersten Bild die Teilnehmenden vor einer Kuppel, die die Partynacht erleuchtet, tanzen und feiern, lehnt im zweiten ein ruhender Mann im rechten unteren Bildrand an einer Art Mauervorsprung. Die Komposition baut Spannung auf. Drei Viertel der Leinwand sind durch Lampen und bunte Lichter erleuchtet, während der linke untere Bereich langsam ins Dunkel der Nacht getaucht wird und mit dem gold-orangen Glimmer der beleuchteten Bereiche allmählich verschwimmt.

Seit 1990 findet das Burning Man Festival jeden Sommer im US-amerikanischen Bundesstaat Nevada statt. Mittlerweile pilgern ebenfalls fast 70.000 Besucher_innen auf das Event mitten in der Wüste. Sie bereichern das Spektakel für eine Woche durch Kunstinstallationen, Performances, Aktionen, Konzerte, Rituale, durch ihre persönlichen Ideen oder teils ephemere und technologisch ausgeklügelte Skulpturen und Art Cars. Das Kunstfestival nimmt durch viele Tendenzen und Ansätze den Gedanken von Fluxus, Happening oder Land Art auf; Kunstströmungen, die sich in den USA der 1960er und 1970er Jahre durch technischen Fortschritt und Wirtschaftswachstum gut entwickeln konnten. Die Festivalgemeinschaft übersetzt ihre Vorstellungen und Wünsche in eine globale und futuristisch-utopische Kunstsprache des 21. Jahrhunderts. Dies geschieht durch Mittel des technologischen Fortschrittes, durch Kreativität und auch durch Selbstinszenierung.

Alle Gemälde der Serie Burning Man thematisieren die wahrgenommenen Eindrücke von Römer + Römer während ihrer Teilnahme am Festival 2017. Nachts verwandelt sich die Wüstenlandschaft in eine Scheinwelt, die durch hunderte Lichtquellen, Light-Installationen und Feuer erhellt wird. Das Lichtermeer hat Römer + Römer eindrücklich inspiriert. Die Darstellung der eingefangenen Momente, von Menschen behangen mit Lichterketten, Gefährten die mit Leuchtdioden über und über verziert sind, passen eindeutig zu der pixelartigen Maltechnik des Paares.

Das für die Ausstellung titelgebende Bild House of Enlightenment (2018) besticht durch Farbe, Bewegung und dem Spiel des Lichts. Römer + Römer fangen die „spacige“ Atmosphäre des nächtlichen Spektakels ein. In der Mitte des runden Gemäldes, mit 120 cm Durchmesser, ist eine ufo-artige Installation zu sehen. Das sogenannte House of Enlightenment, eine ca. fünf Meter hohe, leuchtenden Skulptur ist in der Mitte des Tondo dargestellt. Die Leuchtdioden der Skulptur können durch die Teilnehmenden gesteuert werden. Römer + Römer interessierten auch die interaktiven und partizipatorischen Aspekte der einzelnen Skulpturen. Entstanden sind weitere faszinierende Nachtstücke, wie die Arbeiten mit dem schlichten Titel G (2018) oder LED Bus (2018), die Lichtquellen der künstlichen und futuristischen Welt des Burning Man Festivals zeigen. Das quadratische Gemälde Art Car Skeleton (2018) zeigt eines der vielen Art Cars, die mit Liebe zum Detail gestaltet werden. Zentral gezeigt wird das Heck des avantgardistischen Fahrzeugs, das an ein Raumschiff oder eine Rakete aus einer Science Fiction Serie erinnert.
Die Arbeit Moon Landing Biker (2018), die insgesamt sechs Meter lang und 230 cm breit ist, besteht aus zwei Leinwänden. Das Gemälde überzeugt durch seine Dynamik in Bezug auf den Kompositionsaufbau. Ausgehend vom zentralen blauen Strahlenkranz der Lasershow am nächtlichen Himmel nehmen die mittlere horizontale Ebene ein Dancefloor mit DJ und die tanzende Menschenmenge ein. Im Vordergrund der Szenerie, am unteren Bildrand, bewegt sich ein Fahrradfahrer schon fast aus der Mitte des Bildes heraus. Das dreirädrige Fahrrad mit der amerikanischen Flagge ist Hauptmotiv der Komposition. Auch Fahrräder sind auf dem Festival aufwändig gestaltet, sind selbst schon kleine Skulpturen für sich, mit Lampen und Lichterketten ausgestattet.

Mit viel Hingabe und Akribie malen Römer + Römer ihre Gemälde, die auch von unterschiedlichen Perspektivwechseln erzählen. Das Künstlerpaar hat durch seine speziellen malerischen Kompositionen eine eigene Handschrift entwickelt. Emotion wird durch die Farbgebung vermittelt. Ihre Gemälde sind dadurch sinnlich erfahrbar. Durch das Übertragen von Fotografien in einen sogenannten ‘Pixel-Style‘ handeln sie heutige Wahrnehmungsweisen ab und loten die Möglichkeiten der Malerei aus. Ihre Werke übertragen das Gefühl kollektiver Ausnahmezustände. Römer + Römer sind Historienmaler unseres digitalen Zeitalters sowie unserer überbordenden Eventkultur, indem sie Szenen des zeitgenössischen Lebens in das Format des klassischen Tafelbildes übertragen und ihren unverkennbaren Beitrag zum Thema der Kunst als Projektionsraum von Utopien und Gesellschaftsmodellen leisten. Sie konzentrieren die wichtigsten Aspekte von kulturellen Ereignissen auf einen besonderen Moment. Die Geschichten der Bilder erzählen uns von subkulturellen Großereignissen und utopischen Veranstaltungen, von Gemeinschaftsgefühl und dem Wunsch nach Freiheit.

Martina Pohn, Juni 2019