Geträumte Zukunft
Fünf dynamische und großformatige Skulpturen, zwei Gemälde und wenige Zeichnungen sind in der Ausstellung Geträumte Zukunft des renommierten Künstlers Julian Khol (*1979, Wien) in der Galerie HAAS & GSCHWANDTNER zu sehen. Diese ziehen uns in einen Sog der tiefsten menschlichen Wahrnehmung und Gefühlswelt. Ursprünglich als ein Projekt über die unterschiedlich empfundenen Arten von Liebe und Emotionen geplant, wurde auch Khol von den Entwicklungen rund um die COVID-19-Krise eingeholt. Der plötzliche Stillstand und die sich daraus ergebenden Erwartungen und Ängste in der Gesellschaft veranlassten den Künstler dazu, sich mit dem Traum und der Utopie einer ungewissen Zukunft auseinanderzusetzen.
Schon 2017 faszinierte Julian Khol der Spaziergang durch den architektonisch und skulptural geprägten Salzburger Festspielbezirk. Er beschrieb dessen „Kontrast der alteingesessenen, in den Fels hineingebissenen, herausgerissenen Urkulturen“ und des „Ultra-Existenzialisten Anselm Kiefer“ fasziniert in einem Interview des ORF. (1) Die Tendenz der Auseinandersetzung mit Skulptur zeichnete sich hier schon ab.
Betrachten wir heute die Zeiten, in denen wir Leben, stellen wir fest, dass gerade alles in Erwartung ist: Was kommt jetzt, was kommt danach? Langsam nähern wir uns einer „Normalität“ an, nachdem wir die letzten Monate einen dystopischen SciFi-Film gelebt haben. Die Frage was nach dem plötzlichen und unerwarteten Stillstand kommt, hallte durch unsere Gesellschaft. Die Zukunft, oder auch unsere Gegenwart wirken für viele gerade wie eine „geträumte Zukunft“, eine „utopische Zeit“. Die Angst vor dem Zusammenbruch der globalen Zivilisation schwingt ständig mit. Mitten darin erkennt Julian Khol den Funken der Fantasie und greift diesen künstlerisch auf. „Die Fantasie hat über Jahrtausende die Menschheit geprägt und die Vorstellungskraft des Menschen angetrieben. Alles, was wir bis jetzt erreicht haben, hat sich zuvor jemand vorgestellt und eine Zukunft geträumt.“ Hominiden am Lagerfeuer, Menschen in Gesellschaft, am Esstisch, vor den Fernsehgeräten, alle haben sich etwas vorgestellt, in ihrer Fantasie, in ihren Träumen. Sie haben erzählt, gelehrt und gelernt. So entstand unsere Wirklichkeit und so entsteht Wirklichkeit. „Eine Idee wird so lange wiederholt, bis genug Menschen daran glauben und sie wahr wird. Eine Idee ist also Zukunft. Ein Kunstwerk, aus der Idee von Künstler_innen geboren, ist also Zukunft. Und Gegenwart.“ Khol bezieht sich in seinen Gedanken auf ein Zitat von Virginia Woolf. (2)
Diese persönlichen Erkenntnisse einer ‚ungewissen Zeit‘ und die Eindrücke aus seinen literarischen Forschungen drückt Julian Khol eindrucksvoll in seinen neuesten Arbeiten aus. Maßgeblich dafür steht das großformatige Gemälde Unterströmung (2020) – eine schwarze Pfütze die über das bestehende Bild fließt. Stellvertretend für die Erfahrungen der letzten Monate manifestiert sich in diesem Gemälde eine schwarze Farbwelle, die ähnlich einer Unterströmung mit einer gewaltigen Sogkraft im Meer, alles mitreißt und hinunterzieht. Dabei kann nur erahnt werden, was gerade von der Welle an Hellem und Positivem verschluckt und in die Tiefe gezogen wurde.
Aus dieser ‚Tiefe‘ heraus entstanden auch Khols Skulpturen, die der Künstler aus geschmiedeten Kupferrohren selber fertigt und mit Werkzeugen bearbeitet. Mittels 23-karätigem Blattgold und der dadurch entstehenden Lichtreflexionen verstärkt er die räumliche Wahrnehmung der Skulpturen. Sie sind Ideen, sie speisen sich aus Erinnerungen, sind Memos, Vorstellungen, Fantasien, sind Zukunft. Durch ihren Schattenwurf sind die Skulpturen der Gegenwart immer eine Millisekunde voraus, werfen den Schatten in die Zukunft und sind Mittler zwischen vergangener und künftiger Zeit. Die Schatten der Skulpturen stehen quasi für Zeitintervalle.
Sein Leben empfindet der Künstler teilweise selbst als „Fiction“. Betrachtet er sein Werk, wäre es zu Anfang nicht denkbar gewesen, dass er aus dem Habitus der Malerei heraus dynamische Skulpturen entwickelt. Schritt für Schritt entstand aber ein Konvolut an Arbeiten, das eine Evolution birgt. Vom Flachen Kunstwerk, zur geschwungenen, überlebensgroßen dreidimensionalen Arbeit.
Durch die Wahl des Materials und der speziellen Bearbeitung entfalten die Skulpturen auch im Freien ihre Wirkung. Zu sehen ist dies, in einer parallelen Präsentation von Skulpturen im Der Seehof in Goldegg (bis Ende September 2020). Durch die hohe Lichtfrequenz des Blattgoldes, das kein Licht absorbiert, fließt Energie. Für Khol ist Gold ein magisches Material, ein Metall, das seit Jahrtausenden mit viel Faszination auf die Menschheit gewirkt und ebenso viel Leid ausgelöst hat. Mit Luxus, Pomp und Protz hat das für den Künstler allerdings nichts zu tun.
Die geschwungenen Formen der Skulpturen stellen unsere ewigen, immer gleichen Gedankenschleifen dar. Julian Khol hat sich lange mit der Anatomie und Physiologie des Gedächtnisses auseinandergesetzt. Wie speichert der Mensch Erinnerungen, wie wandelt er aufgenommene Information um? Wie Erinnerungen gespeichert werden, entscheiden Rezeptoren. Gefühle werden durch unser Gehirn in Schleifen immer wieder wiederholt. Erinnerung wird in den ewigen Spiralformen zu dargestellter Emotion. Sie bilden Khols persönliche Mantren, die ihm ewig durch den Kopf gehen, ab. Seine Skulpturen sind im vergangen Jahr meditativer geworden. Sie zeigen auch die Routine des kontemplativen Formens und Gestaltens.
Ein weiteres Terrain auf das sich der erfolgreiche Künstler begibt ist das der Zeichnung auf Papier. Was diese mit seiner Malerei gemeinsam hat ist eine gewisse Rohheit. Ungefiltert zeichnet er immer wieder das gleiche Motiv mit Pastellkreiden auf das Papier: eine Palme mit Kokosnüssen. Ein Traum, eine Erinnerung, die ihn an seine Studioaufenthalte in L.A., Californien (2018) und Miami (2019) erinnern. Als Student bei Christian Ludwig Attersee und Herbert Brandl wollte er sich immer wieder neu erfinden. Keine Malerei sollte wie die nächste aussehen, Formen und Farben mussten sich beständig ändern. Die Palme auf seinen Zeichnungen ist ein variables Motiv. Die Wiederholung wird zu einem angenehmen Rhythmus, wie ein Lied, in dem bestimmte Tonabfolgen ebenso wiederholt werden. Überall in der Ausstellung finden sich QR-Codes. Besucher_innen können diese scannen und unterschiedliche Lieder und Musikstücke abspielen, die Julian Khol im Nachhinein an seine Arbeiten erinnern. So entsteht eine emotionale Vermittlung, zwischen dem Künstler, seinen Skulpturen und den Emotionen der Betrachter_innen.
In den ausgestellten Skulpturen, seriellen Zeichnungen und in der Malerei kumulieren unser aller Gedanken, unsere surreal-wirkenden Vorstellungen oder fantasievolle Visionen, die Kinder haben. Wie wirken unsere Kindheitserinnerungen an alte Science Fiction Filme heute auf uns? Die Kommunikation mit anderen Menschen über unsere Smartphones mit Bildschirmübertragung? Dies sind positive Aspekte der Science-Fiction. Dystopische Zukunftsvorstellungen haben sich aber in den letzten Monaten ebenso gezeigt, so etwa, das Tragen von Masken, als Schutzmaßnahme.
Der Traum, die Zukunft und das kollektive Gedächtnis sind Themen auf die Julian Khol eingeht. Als Künstler ist er Teil des Makrokosmos der Gesellschaft und des Systems, den Mikrokosmos, den er ebenso beleuchtet, bilden seine Vaterschaft, die Ehe, das Sohn-Sein und seine Freund_innenschaften. Emotionen, die etwa durch die Rede Greta Thunbergs (3) am Climate Action Summit, am 23. September 2019, im UN Headquarter in New York, ausgelöst worden sind, treiben ihn in seinem Arbeiten voran.
Seine Werke sind es, die unsere Ungewissheit, unsere Gedanken über das vermeintlich angsteinflößende Unbekannte in ein strahlendes greifbares transformieren. Dank ihrer dynamischen Konzeption weist Julian Khol einen Weg in eine noch zu definierende Zukunft die utopisch und trotzdem erhellend am Horizont bereit steht.
Martina Pohn, Juli 2020
(1) ORF Kulturfreitag, ZIB 24, vom 26.05.2017 , Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=kf9yj7qpUTg
(2) Denn Meisterwerke sind keine einsamen Eigenleistungen; sie sind das Ergebnis vieler Jahre gemeinsamen Nachdenkens, des Nachdenkens der Gesamtheit der Menschen, so daß hinter der einzelnen Stimme die Erfahrung der Masse steht. (aus: Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein)
(3) Greta Thunberg, Climate Action Summit, 23.09.2019, UN Headquarter New York: You have stolen my dreams and my childhood with your empty words. And yet I’m one of the lucky ones. People are suffering. People are dying. Entire ecosystems are collapsing. We are in the beginning of a mass extinction, and all you can talk about is money and fairy tales of eternal economic growth. How dare you!