Picks from the Gallery Program
Picks from the Gallery Program
Ein Ausstellungsbericht von Alexandra Steinacker Clark
Wie sonst könnte ich diesen Artikel beginnen, als mich damit zu befassen, dass die durch das COVID-19-Virus geschaffene Situation nicht nur unser tägliches Leben, sondern auch die Art und Weise, in der Kunst betrachtet, produziert, erworben und bewundert werden kann, stark beeinflusst wurde. Gegen Ende April 2020 beschloss die österreichische Regierung, Betriebe bis zu einer Größe von 400 Quadratmetern für die Öffentlichkeit, nach einem einmonatigen Lockdown, zugänglich zu machen – was bedeutet, dass die Salzburger Galerie HAAS & GSCHWANDTNER ihre Türen mit einer neuen Ausstellung wieder öffnen konnte: Picks from the Gallery Program.(1) Diese Ausstellung ist nicht die, die ursprünglich geplant war. Wegen vieler Gründe und bedauerlicherweise musste die vielversprechende Ausstellung der österreichischen Künstlerin Inga Hehn (*1984) verschoben werden. Stattdessen entschied das Galerieteam verschiedene Werke einer Vielzahl von Künstler_innen aus seinem Bestand in einem neuen Kontext zu zeigen. Die Mischung aus etablierten Künstlern wie Andy Warhol (*1928, +1987) oder Mel Ramos (*1935, +2018) sowie jüngeren und aufstrebenden Künstler_innen wie Inga Hehn (*1984) oder David Meran (*1991) bietet die Möglichkeit des Ausdrucks der Solidarität zwischen den Kunstschaffenden selbst und den Galerist_innen, die in diesen schwierigen Zeiten ein Zeichen der Beruhigung setzen möchten. Dies zieht auch Parallelen zu anderen Kollaborationen, die in letzter Zeit in der Kunstwelt stattfinden, wie z.B. das sog. Artist Support Pledge, das auf der Social-Media-Plattform Instagram viral geht, oder des nur online stattfindenden Contemporary Curated Sale bei Sotheby's, der mit Werken zwischen 1.000 GBP und 1 Million GBP insgesamt satte 5 Millionen Pfund einbrachte.(2) Diese gemeinsamen Anstrengungen spiegeln sich in der Ausstellung wider und werden schon beim Betreten der Galerie deutlich (neben Handdesinfektionsmittel, Masken und Handschuhen, die auf einem Tisch an der Eingangstreppe platziert sind, was zeigt, dass die Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen auch nach der Wiedereröffnung kleiner Unternehmen weiterhin von großer Bedeutung ist!).
Noch bevor der Raum vollständig betreten wird, fällt der Siebdruck Colour Splat Fizz (2019) von Ian Davenport (*1966) ins Auge, der an der Hauptwand der Galerie ausgestellt ist. Die Miniatur-Farbexplosionen ziehen Betrachter_innen in den Ausstellungsraum und lenken den Blick auf die rechte Wand mit vier weiteren Werken des Britischen Künstlers und Turner-Prize-Kandidaten: Twilight, Morning, Evening und Midday – in dieser Reihenfolge. Bei diesen Werken handelt es sich um Siebdrucke aus Davenports Serie Diagonals (2019), in denen er seine Technik umsetzte, die Schwerkraft zu nutzen, um den Fluss dicker Farbströme so zu beeinflussen, dass sie kaskadenartig von einer Ecke der Komposition in die andere fließen. Beim Betrachten der Drucke musste ich schmunzeln: Die Werke zeigen symbolisch einen gesellschaftlichen Rhythmus auf der einen beruhigenden Aspekt der Selbst-Kontrolle aufweist. Tageszeiten bieten uns allen Struktur. Es ist passend, diese unter den derzeitigen Umständen auszustellen. Was verbinden wir mit Gesundheit, Arbeit, Beziehungen, Schlafenszeiten und sogar den Wochentagen? Die Werke wurden bewusst nicht nach der chronologischen Abfolge (Morgen, Mittag, Abend und Dämmerung) installiert, was die logische Ausstellungspräsentation gewesen wäre. Stattdessen wählte das Team bewusst, als kleines Detail, die ‚Un-Anordnung‘ der Arbeiten. Die Titel bieten so eine Gewissheit dafür, dass die gesellschaftliche Verwirrung und die Störung der alltäglichen Abläufe und Zeiten, in denen wir uns im Allgemeinen derzeit befinden, mittlerweile zur Normalität geworden sind. Zwischen den Werken von Davenport finden sich Joseph Klibanskys (*1984) Caught Up in a Dream (2019) und Mel Ramos' Hunt for the Best (Gold) (2013), auf dem eine nackte Frau dargestellt ist, die sich verführerisch um eine überdimensional vergrößerte Gewürzflasche, im unverkennbaren Pop-Art-Stil des Künstlers, windet – in der Tat ein Blickfang! Dieses Werk von Ramos weist ein ähnliches Motiv wie sein Triptychon Peek-A-Boo Marilyn #1–3 auf, in dem eine nackte Marilyn Monroe zu sehen ist. Aus dieser Serie von Lithografien wurde Anfang dieses Jahres ein Motiv im sog. Erotic-Online-Sale des Auktionshauses Sotheby's in London erfolgreich verkauft. Seine Werke erzielen in Auktionen spektakuläre Preise. Zusätzlich ist erwähnenswert, dass die Galerie, obwohl sie derzeit nicht ausgestellt ist, auch eine herausragende Ausgabe des Motivs Peek-A-Boo Marilyn #2 besitzt. Ramos' Werke sind bemerkenswert und ziehen in jeder Ausstellung die Blicke auf sich.
Durchstreift man die Galerie weiter, finden sich die Siebdrucke Goethe (1982) und Kiku (1983) von Andy Warhol (*1928, +1987), die links neben Davenports Colour Splats installiert sind. Die Betrachtung dieser beiden faszinierenden Werke eines so einflussreichen Künstlers erinnert an seine Bedeutung innerhalb der Kunstgeschichte. Wie die Galerie auf ihrer Website so treffend zum Ausdruck bringt, unterstreichen die Werke weiter seinen Beitrag von kommerzieller Symbolkultur und jenen der Produktion von Kunst in einer Fülle verschiedener Medien und Techniken, wodurch er seine Arbeiten leichter zugänglich und verbreitbarer machte. Unmittelbar neben den Warhol-Siebdrucken sind das Gemälde Floating Shark (2018) des Berliner Künstlerduos Römer + Römer (Nina Römer *1978, Thorsten Römer *1968), und zwei hyperrealistische, aber gleichzeitig leicht psychedelisch-wirkende Ölgemälde des deutschen Künstlers Heiner Meyer (*1953), Monikini II und Mickey Loves Jeff (beide 2019), zu sehen. Die beiden Ölgemälde des ehemaligen Assistenten von Salvador Dalì sind an jener Trennwand platziert, die den großen Ausstellungsraum der Galerie in zwei Bereiche unterteilt und so eine intimere Erkundung der Ausstellung ermöglicht. In Mickey Loves Jeff werden die Bezüge zur Popkultur nicht nur durch den direkten Bezug auf Andy Warhols Brillo Box von 1964, sondern auch durch die Edelstahlskulptur Rabbit (1986) von Jeff Koons deutlich. Die Skulptur wurde 2019 für 91,1 Millionen US-Dollar versteigert und ist damit das teuerste Werk, das ein lebender Künstler je versteigert hat.(3) Die Prinzipien, die beide Künstler in ihrer Arbeit in Bezug auf Konsumdenken und Populärkultur verkörpern, überträgt auch Heiner Meyer in einer weiteren Gedankenebene in seine Malerei.
Im dahinterliegenden Bereich sind drei weitere, für die Galerie wichtige und bezeichnenden Werke ausgestellt: Akt den Berg aufsteigend (2019), eine Monotypie von Tina Graf (*1997), Ohne Titel (2018), eine Bleistiftzeichnung auf Papier von Inga Hehn (*1984), und Concrete #7 (2019), eine auf Beton belichtete Fotografie von Birgit Graschopf (*1978). Es ist erfrischend zu sehen, wie in dieser Ausstellung drei starke Künstlerinnenpositionen gemeinsam präsentiert werden. Wobei jedes Motiv und jeder Ausdrucksstil unterschiedlich, aber doch eindringlich und intensiv Betrachter_innen zum Innehalten und Nachdenken anregt. Die Salzburger Künstlerin Tina Graf setzt den menschlichen Körper, das Weibliche und die Präsenz der Frau in der Gesellschaft in ihrer Kunst ein, reflektiert aktuelle (feministische) Themen und demonstriert ganz bewusst die Befreiung aus gesellschaftlich oktroyierten Normen. In Akt den Berg aufsteigend ist ihre Bildsprache noch ein wenig abstrakter mit einer lebhaften und ausdrucksstarken Farbpalette. Die dargestellte Szene, wurde als Performance während Bergtouren durch die österreichischen Alpen aufgeführt. Hier befreite sie ihren Körper, genauer gesagt ihren Oberkörper und stellt die Fragen, weshalb weibliche Brustwarzen in unserer Gesellschaft als Tabu gelten? Ihre Fotos von Performances, die sie auch auf Social Media präsentiert und in ihre künstlerischen Arbeiten integriert, entmystifizieren die soziokulturelle Doppelmoral auf eindringliche Weise. Akt den Berg aufsteigend ist das bildgewordene und wortwörtliche Beispiel hierfür.
Inga Hehn sollte Anfang April 2020 eine Einzelausstellung in der Galerie eröffnen, die verständlicherweise vorerst verschoben wurde. Zu unserem Glück können wir uns trotzdem an den akribisch genauen Zeichnungen von ihr erfreuen, die derzeit in der Ausstellung ebenso zu sehen sind. Hehn experimentiert in ihrer künstlerischen Praxis mit verschiedenen Druck- und Grafiktechniken und schafft so Werke, die in ihrer Natur fragmentarisch sind, gleichzeitig aber durch ihre Präzision ästhetisch unfassbar ansprechend wirken. Weitere Werke von ihr (und den anderen Künstler_innen) finden sich im großen Schaulager der Galerie, das bei individuellen Terminen besichtigt und durchforscht werden kann.
Birgit Graschopfs Fotografie macht durch die Verwendung von interessantem Material auf sich aufmerksam. Denn das Besondere an dem Werk ist nicht nur das monochrome Rätsel des Bildes, sondern auch die Umsetzung auf einem selbst gegossenem Bildträger aus Beton, anstelle des Fotopapiers. Die Kombination der rätselhaften Bildsprache, Bildträgern aus den alltäglichen Handwerksbereichen und ihr akribisches und genaues Arbeiten haben sich auch positiv auf Graschopfs institutionelle Aufträge ausgewirkt: die Künstlerin hat bereits in großen österreichischen Museen, wie der Albertina in Wien und dem Museum der Moderne in Salzburg ausgestellt und auch im Auktionshaus Dorotheum erfolgreich verkauft. International arbeitete sie schon in den USA, in Japan, Schweden oder Thailand.
Gegenüber der Wand mit den Arbeiten dieser beeindruckenden und aufstrebenden Künstlerinnen, sehen Besucher_innen zwei Werke von Julian Khol (*1979), einem der zurzeit vielversprechendsten, ehemaligen Meisterschülern von Herbert Brandl an der Kunstakademie in Düsseldorf. Dusk aus der Serie Supernatural, ein großformatiges Ölgemälde, das einen Papagei in satten dunkelblauen und grünen Farbtönen darstellt, ist eine von Khols früheren Arbeiten, die 2011 entstanden ist. Das großformatige Gemälde Ohne Titel, das eine völlig andere Bildsprache aufweist, malte er 2017. Der größte Teil der Leinwand wird vom schlichten Hintergrund eingenommen, das Motiv der Blumenwiese ist verteilt über das Bild, das er gefühlvoll mit Öl, Pastell und Kreide bemalte. Die Beschäftigung mit dem Raum und die Präsenz der vielschichtigen Bedeutungsebenen dieses Wortes schaffen eine ruhige und aufmunternde Atmosphäre in der Komposition. Seine neuesten Werke sind Skulpturen. Eine davon, When We Fall in Love (2019), ist in der Ausstellung zu sehen. Vergleichen wir diese mit Khols jüngeren Gemälden, lassen sich ähnliche Motive von Raum und Linie erkennen, die aus dem Zweidimensionalen ins Dreidimensionale gebracht werden. Es handelt sich um ein langes, mit 24-karätigem Gelbgold überzogenes Kupferrohr, das das Licht aus verschiedenen Winkeln reflektiert und mehr Auseinandersetzung mit Perspektive, Material und Form zeigt. Seine Werke stellte Khol bereits mit seinem Professor, dem renommierten Künstler Herbert Brandl (*1959) aus. Seine Skulpturen zieren außergewöhnliche Räume, wie den Palazzo Hotel Heureka, den er zur 58. Biennale in Venedig 2019 ausstatten durfte. Im selben Ausstellungsbereich befinden sich auch ein Werk des Künstlertrios 3Steps (Zwillinge Kai H. Krieger und Uwe H. Krieger sowie Joachim Pitt, alle *1980), das im Stil der Street Art arbeitet, sowie Gemälde der Künstler Deniz Alt (*1978) und Florian Fausch (*1981). Beide Werke sind viel- und tiefschichtig und blättern gesellschaftliche Geschichten oder architektonische Fragmente auf.
Purple Cobra (2018), eine Wandskulptur des multidisziplinär arbeitenden Künstlers Mateusz von Motz (*1985) beeindruckt im Eingangsbereich. Die Kombination von Beton, Marmorstaub und sog. Chamäleonfolie (die typischerweise in der Automobilindustrie verwendet wird) macht die Grundform der verbeulten vertikalen Skulptur zu einem unterhaltsamen und interaktiven Objekt, das durch den holografischen Effekt das Aussehen der sich spiegelnden Umgebung verändert. Von Motz arbeitet oft mit anderen Materialien wie Neon, Glas und Stahl, wobei er Techniken anwendet, die er während seines Studiums der Bildhauerei am Royal College of Art in London verfeinert hat. Im Office-Bereich der Galerie stehen neben der bereits erwähnten vergoldeten Skulptur von Julian Khol drei Skulpturen von David Meran, der gerade seine erfolgreiche und medial beachtete Einzelausstellung STEHVERMÖGEN in der Galerie beendet hat. Zwei der Werke aus der Serie Untitled (but solid and smooth) Yoga Mats (2019), bestehen, wie der Titel verrät aus Yogamatten und Zement, wobei die Schaumstoffmatten geschnitten und zu kleinen, ästhetischen Rollen geformt werden, die auf ihre Zementunterlage passen. Das dritte Werk, Concrete Balance (2018), ist ebenso interessant mit seinem Materialmix aus Zement und Seil. Das Seil bildet einen Halbkreis, der mit der Basis verbunden ist. Die Materialien widersprechen einander. Solider, harter Beton steht der Weichheit einer Yogamatte oder der Flexibilität eines Seils gegenüber. Dies erzeugt beim Betrachten eine Spannung sowie ein visuelles Vergnügen durch die Lebendigkeit der satten und kräftigen Farbkombinationen und der Glätte des robusten Materials, die sich in jedem Werk bemerkbar machen. Die Spannung von weich und hart, flexibel und steif, natürlich und künstlich, übersetzt sich in mehr als nur das Medium. Meran erforscht, was es bedeutet, das Material Beton (der Autorin kommen Assoziationen, wie Städtekonstruktionen, Bürgersteige, Lärm der Städte in den Sinn) in direkten Kontakt mit einer Yogamatte (assoziiert mit Meditation, Entspannung, Intimität, Einsamkeit) zu bringen, und spielt mit diesen Widersprüchen, mit den Konventionen, die sowohl in der Kunst als auch in der Gesellschaft zu finden sind.
Zum Schluss, und nachdem ich nun im Wesentlichen die gesamte Ausstellung Picks from the Gallery Program mit großer Freude besprochen habe, hoffe ich, Ihr Interesse an diesen bemerkenswerten Künstler_innen geweckt zu haben. Ikonen der Kunstgeschichte, wie Andy Warhol und zeitgenössische Wegbereiter, wie Ian Davenport sind neben beeindruckenden aufstrebenden Künstler_innen wie Birgit Graschopf, Tina Graf, Julian Khol oder Mateusz von Motz, u.v.a. vertreten. Das Konzept der Ausstellung durch große Namen der Kunst, auch vielversprechenden zeitgenössischen jungen Stimmen den Weg in Privatsammlungen zu ebnen, ist außerordentlich und bietet Sammler_innen eine große Bandbreite an Investitionsmöglichkeiten und Liebesbekundungen an die Kunst. Besuchen Sie die Galerie und unterstützen Sie Künstler_innen sowie das ambitionierte Galerist_innen-Team. Sie finden bestimmt Freude und Normalität in diesen teils seltsamen und verwirrenden Zeiten, geprägt durch COVID-19.
Alexandra Steinacker-Clark, London, April 2020
Ins Deutsche übersetzt von Martina Pohn.
(1) https://www.bbc.com/news/world-europe-52275959
(2) https://www.sothebys.com/en/buy/auction/2020/contemporary-curated?locale=en
(3) https://www.nytimes.com/2019/05/15/arts/jeff-koons-rabbit-auction.html
Alexandra Steinacker Clark (*1996) ist eine amerikanisch-österreichische Kunsthistorikerin, die derzeit ihren BA in Kunstgeschichte am University College London, GB, abschließt. Sie wird ihre Ausbildung mit einem MA in Kunstverwaltung und Kulturpolitik an der Goldsmiths University fortsetzen. Ihre Spezialisierungen umfassen zeitgenössische Kunst, insbesondere Technologie, das Digitale und die künstliche Intelligenz in der künstlerischen Praxis. Zusätzlich arbeitet sie im Auktionshaus Sotheby’s, London. Seit 2019 ist sie Präsidentin der Art Business Society am University College London.
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